Förderpreis Agrargeschichte 2023
Der Förderpreis Agrargeschichte für die beste akademische Abschlussarbeit mit einem agrargeschichtlichen Fokus wurde 2023 zum achten Mal vergeben und bezog sich auf Studien der Jahre 2021 und 2022. Es waren zahlreiche hochwertige Studien eingegangen, was demonstriert, dass Themen- und Fragestellungen zur Agrargeschichte und ländlichen Gesellschaft an deutschsprachigen Universitäten ein erfreulich lebhaftes Interesse finden.
Der Vorstand der GfA entschloss sich diesmal auf der Basis von Gutachten, den Preis zu dritteln. Prämiert wurden:
- die Bachelorarbeit von Robin Hummel (Freiburg i. Br.) über „Probleme der frühmittelalterlichen Grundherrschaft im Breisgau. Eine Forschungstheorie auf dem Prüfstand“
- die Masterarbeit von Marco Krüger (Jena) zu „Die Fluraufnahme Großfurras 1641-1694. Ein frühes Katasterwerk im Alten Reich“
- die Masterarbeit von Verena Telser (Innsbruck) über „Die Entwicklung des chemisch-synthetischen Pflanzenschutzes im Südtiroler Apfelanbau von 1947 bis 1970“.
Im Falle von Marco Krüger konnte der Preis auch im Rahmen der GfA-Jahrestagung am 23. Juni 2023 im Frankfurter DLG-Haus persönlich übergeben werden (s. unten Bilder).
Aus den Laudationes:
Die Bachelorarbeit von Robin Hummel entstand an der Universität Freiburg und befasst sich mit der Genese und Ausprägung der „Grundherrschaft“ im Breisgau, mithin mit einer Thematik, die in der Agrargeschichte des Mittelalters einen festen Platz einnimmt. Seit der Begründung der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert bildet das Nachdenken über die Herkunft und die Ausprägungen bäuerlicher Hörigkeit einen wichtigen Bereich der Mediävistik. „Grundherrschaft“ ist kein Quellenbegriff, sondern ein konzeptionelles Angebot, um bäuerlicher Abhängigkeit von Herrengewalten ihren Stachel zu nehmen, um die bäuerliche Bevölkerung nicht als „schon immer“ persönlich Unfreie (Hörige oder gar Sklaven) erscheinen zu lassen, sondern als Inhaber von Hufen, deren Verpflichtung zur Leistung von Diensten und Abgaben aus ihrer Bindung an den Boden resultierte. Dadurch ließ sich ein „Hofbauerntum“ schon für die Zeit des frühen Mittelalters hypostasieren. Diese Sichtweise ist in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend infrage gestellt worden: Die schon in fränkischer Zeit extrem diversen Quellenbefunde rechtfertigten das Festhalten am Begriff „Grundherrschaft“ nicht länger. Mangels Alternativen gibt es freilich auch Verteidiger des Begriffs, die ihn als unverzichtbar ansehen.
Robin Hummel zeichnet in seinem sehr gut informierten Einleitungskapitel die unübersichtlichen Debatten treffend nach, ergänzt um den Forschungsstand zum Breisgau im Frühmittelalter. Der empirische Teil beruht auf der Auswertung der frühen Überlieferung zum Breisgau aus den Klöstern Sankt Gallen und Lorsch, ergänzt um einige wenige Königs- und Traditionsurkunden bischöflicher und klösterlicher Provenienz. Der Verfasser betont den inselhaften Charakter der Quellenbestände, die gleichwohl einen Eindruck von der Vielgestaltigkeit der Rechtsgeschäfte zwischen Donatoren und Donataren vermitteln. Detailliert wird herausgearbeitet, dass Transfers von Parzellen, Gütern, (wenigen) Kirchen und Personen nebeneinander erfolgten, dass daraus Verpflichtungen von Hörigen und Freien zu Diensten und Abgaben an die Klöster erwuchsen, dass daraus jedoch keine logisch stringente Beziehung zwischen der Übergabe von Land und dem Transfer von Personen abzuleiten sei. Am Ende steht ein klassischer Negativbefund: Die Zusammenschau zahlreicher Transfers ergibt demzufolge kein Muster, das die Verwendung des Begriffs „Grundherrschaft“ rechtfertigen würde.
Bei der an der Universität Jena eingereichten Masterarbeit von Marco Krüger handelt es sich um eine mit Archivmaterial (Flurkarten) und aussagekräftigen Diagrammen reich illustrierte und sprachlich wie formal sehr gelungene Arbeit. Sie nutzt die von der Adelsfamilie Wurmb durchgeführten und sich über ein halbes Jahrhundert erstreckenden Großfurraer Katasteraufnahmen, um nicht nur adliges Engagement für die katastermäßige Vermessung einer ganzen Flur aufzuzeigen, sondern um damit zugleich eine erstklassige Quelle für einen Ausschnitt der nordthüringischen Kulturlandschaft im 17. Jahrhundert sowie für die Struktur des adligen und bäuerlichen Landbesitzes in dieser Region zu erschließen. Der Verfasser verbindet die über einen langen Zeitraum zu verfolgenden Schritte der Landaufnahme neben Aspekten wie Motivation oder angewandte Methoden und Instrumente der Vermessung u.a. mit Fragen der Bewirtschaftungsformen in einem adligen Grundbesitz. Damit knüpft er an die für die Agrargeschichtsforschung relevante Frage nach der Verteilung von herrschaftlicher Eigenwirtschaft und von Bauern bewirtschafteten Ländereien an und vermag in seinem Fallbeispiel eine detaillierte Besitzverteilung nachzuzeichnen, die eine ungewöhnlich deutliche Dominanz des grundherrlichen Besitzes gegenüber Bauernstellen aufzeigt.
Der Autor ordnet die Großfurraer Katasterprojekte des 17. Jahrhunderts anhand von Vergleichsbeispielen in die allgemeinen Entwicklungen der Katastervermessungen im Alten Reich ein. Auf diese Weise entstand eine kenntnis- und erkenntnisreiche Arbeit, die über technische und organisatorische Abläufe der Vermessung ebenso Auskunft gibt wie über beteiligte Personen oder über das damit verbundenes Konfliktpotenzial mit und innerhalb der Dorfgemeinschaft. Überzeugend ist die begrifflich-konzeptionelle Einordnung des Fallbeispiels und die kritische Hinterfragung des gängigen Katasterbegriffs in seiner Verengung auf die Steuererhebung. Interessant ist das gewählte Fallbeispiel, da es zeigt, dass auch die Grund- und Gerichtsherren durchaus in der Lage waren, eine Vermessung mit zugehöriger Katasteraufnahme zu realisieren bzw. in Auftrag zu geben, ohne dass zwingend ein Territorialstaat mit einer konkreten Besteuerungsabsicht dahinterstand. Bei der Bearbeitung und Auswertung der Flurkarten wurde ein rechnergestütztes Geographisches Informationssystem (GIS) eingesetzt, ein inzwischen in (raumbezogener) Wissenschaft und Verwaltung gängiges System, das wichtige Werkzeuge zur Modellierung, Analyse und Archivierung raumbezogener Daten bietet.
Die Innsbrucker Masterarbeit von Verena Telser stellt eine genuine Forschungsleistung dar, indem sie auf methodisch reflektierte, überzeugend argumentierende und stilistisch tadellose Weise die Entwicklungen des Pflanzenschutzes und der Schädlingsbekämpfung im Südtiroler Apfelanbau 1947-1970 analysiert. Die Relevanz des Themas ergibt sich bereits aus der ökonomischen Bedeutung der Südtiroler Apfelwirtschaft, die aktuell die Hälfte der italienischen und 15% der europäischen Apfelproduktion abdeckt. Im Untersuchungszeitraum veränderte sich der Pflanzenschutz vom Einsatz stark toxischer Substanzen in der Nachkriegszeit hin zu einem gezielten Einsatz von Pestiziden im sogenannten integrierten Apfelanbau. Wann und wie das Umdenken im Pflanzenschutz bzw. der Schädlingsbekämpfung genau stattfand, ist bislang kaum erforscht, und Tesler stößt mit ihrer Arbeit in diese Forschungslücke vor.
Die Autorin setzt sich intensiv mit den zwei gewählten Methoden – historische Diskursanalyse und Oral History – auseinander. Ein großer Teil des diskursiven Korpus von 3.705 Beiträgen in Der Landwirt, zunächst maßgebliches Informationsorgan der Südtiroler Bauernschaft, besteht aus Werbeanzeigen für Pestizide, die Verena Telser zusätzlich einer quantitativen Analyse unterzieht. Die Transkriptionen der Interviews sind vollständig im Anhang der Arbeit einsehbar. Die Zusammenführung zweier qualitativer Methoden, erweitert durch die deskriptive Statistik von Werbeanzeigen, erweist sich als innovativ und gewinnbringend.
Das Einflechten von Zeitzeugenaussagen macht die Arbeit zu einer anschaulichen und spannend zu lesenden Geschichte. Keinesfalls verfällt die Autorin jedoch der Versuchung, die Ergebnisse einer Methode einseitig zu gewichten. Durchweg trianguliert sie die je gewonnenen Resultate und entwickelt so eine überzeugende Gesamtargumentation, die Zeitzeugenaussage, Diskurs und Sekundärliteratur gekonnt miteinander verschränkt und zu neuen Aufschlüssen gelangt. Quantitativ lässt sich etwa nachweisen, dass der Hauptverband der Apfelwirtschaft selbst mit Abstand die meisten Werbeanzeigen für Pflanzenschutzmittel in Der Landwirt schaltete. Die Verfasserin deutet, dass der Hauptverband entgegen seiner Selbstdarstellung nicht nur die Interessen der Bauernschaft, sondern auch jene ausgewählter Pflanzenschutzmittelfirmen wie Bayer, Ciba und Hoechst vertrat. Zeitzeugenaussagen unterstützen diese Interpretation. Es folgt eine Entwicklung, die das Umdenken in der Apfelwirtschaft entscheidend mit beeinflusste, nämlich das Einsetzen eigener Forschungen und Spritzversuche einiger Jungbauern, die später mit dem sogenannten Beratungsring (1957) eine industrie-unabhängige Fachberatung in Südtirol etablierten. Die resultierende Konkurrenz zwischen bäuerlichen und industriellen Beratungsstrukturen bildet ein Kernstück der vorgelegten Analyse zu den verschiedenen Motoren der Pflanzenschutzentwicklung im Spannungsfeld zwischen Industrie, Hauptverband und lokalen bäuerlichen Initiativen, eingebettet in politische und gesellschaftliche Diskussionen der Zeit. Das Ergebnis jener Aushandlungsprozesse war nicht die Abkehr vom chemisch-synthetischen Pflanzenschutz, wie die von Rachel Carsons Buch „Silent Spring“ angestoßene Diskussion in den frühen 1960er Jahren nahelegte, sondern eine – ökonomisch und ökologisch orientierte – gezielte Pestizidnutzung, die sich mit dem bis heute vorherrschenden integrierten Apfelanbau in Südtirol durchsetzte.