Förderpreis Agrargeschichte 2019
Der Förderpreis Agrargeschichte für die beste Studienabschlussarbeit zu einem agrargeschichtlichen Thema wurde im Jahr 2019 zum sechsten Mal vergeben. Prämiert wurden dieses Mal zwei hervorragende Arbeiten, die Masterarbeiten von Julia Kreuzburg zum Thema „Die ‚Arisierung‘ des jüdischen Weinhandels in Rheinhessen“ und von Henning Bovenkerk zum Thema „Gab es in Deutschland eine Konsumrevolution? Das Münsterland im 18. Jahrhundert“.
Hier die Laudationes von Stefan Brakensiek:
Die Masterarbeit von Julia Kreuzburg ist an der Universität Mainz entstanden und untersucht die gewaltsame Verdrängung von jüdischen Kaufleuten aus dem Weinhandel in Rheinhessen am Beispiel der Stadt Mainz während der NS-Herrschaft. Ziel der Studie war es, die konkrete lokale Umsetzung der Arisierungsmaßnahmen und deren Verlauf herauszuarbeiten. Die Arbeit stellt am Beispiel von drei Handelshäusern die Durchführung ihrer schrittweisen Enteignung dar. Dazu wurden zum einen die Erlasse des NS-Regimes untersucht, mit denen die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihre Erwerbstätigkeit zunehmend eingeschränkt wurden. Zum anderen wurden mehrere Prozesse aus den Jahren zwischen 1935 und 1938 vor Mainzer Gerichten analysiert, die das Ansehen von jüdischen Angeklagten empfindlich schädigten und ihren wirtschaftlichen Ruin bezweckten. Im Zusammenhang damit wurde auch die Berichterstattung in der regionalen und überregionalen Presse ausgewertet, die in tendenziöser Weise über diese Prozesse berichtete und die Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Kaufleute propagandistisch legitimierte.
Die Studie konnte herausarbeiten, dass die Verdrängung jüdischer Weinhändler aus dem Wirtschaftsleben in der Stadt Mainz, in Rheinhessen und darüber hinaus durch ein Zusammenspiel von Gesetzgebung, von Zivil- und Strafjustiz sowie von regionalen und überregionalen Medien vorangetrieben wurde. Zwar konnten sie ihre Stellung im Mainzer Weingroßhandel aufgrund ihrer Bedeutung für die deutsche Devisenwirtschaft noch bis 1938 mühsam aufrechterhalten. Danach war ihre frühere Geltung für die lokale Wirtschaft dahin, ihr vormals hohes Ansehen in Fachkreisen zerstört, und ihr einst beachtliches Vermögen weitgehend in fremde Hände gelangt.
Die Gesellschaft für Agrargeschichte prämiert die Masterarbeit von Frau Kreuzburg als einen ausgezeichneten empirischen Beitrag zur Erforschung der sog. „Arisierung“. Darüber hinaus erhalten die von der Enteignung und Entrechtung betroffenen Familien ein individuelles Gesicht. Die Studie kann als ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der gewaltsamen Veränderungen des Weinhandels im Nationalsozialismus charakterisiert werden, der für das regionale Wirtschaftsleben im Rheinland von großer Bedeutung war.
Die Masterarbeit von Henning Bovenkerk ist an der Universität Münster entstanden. Der Verfasser setzt sich darin mit der These einer „Konsumrevolution“ im 18. Jahrhundert auseinander und testet sie auf ihre Gültigkeit für Nordwestdeutschland. Diese These einer Consumer Revolution, die zunächst von Neil McKendrick für England formuliert wurde und durch Jan de Vries unter dem Begriff einer Industrious Revolution erweitert und auf weitere Teile Westeuropas übertragen wurde, erhielt in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit. Sie bietet Erklärungen für den Beginn der Kommerzialisierung und der anschließenden Industrialisierung Europas, indem sie nicht länger die Produktion von gewerblichen Gütern fokussiert, wie die älteren Ansätze der Vergewerblichung des platten Landes bzw. der Protoindustrialisierung, sondern die steigende Nachfrage nach Gütern, über die Befriedigung von elementaren Bedürfnissen hinaus, ins Zentrum der Überlegungen stellt. Die These wurde für verschiedene europäische Kontexte untersucht, mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Während die Studien zu den Kernländern der Entwicklung – den Niederlanden und Großbritannien – Anzeichen für eine Konsumrevolution beginnend im 17. Jahrhundert finden, werden die Ergebnisse für andere europäische Länder, wie Spanien oder Norwegen, eher skeptisch bewertet. Die Masterarbeit untersucht die Gültigkeit der These anhand der Nachlassverzeichnisse von eigenbehörigen Bauern aus zwei Phasen des 18. Jahrhunderts in vier Regionen des Münsterlands. Die Arbeit nutzt dabei neben etablierten Arbeitsmethoden auch einen eigens entwickelten Ansatz für eine altersspezifische Differenzierung der verwendeten Quellen. Die Ergebnisse belegen, dass es Veränderungen im Konsumverhalten der bäuerlichen Bevölkerung des Münsterlandes gab, die aber nicht dem Umfang der Consumer Revolution beispielsweise in England oder der Niederlande entsprachen. Die Arbeit leistet einen eigenständigen Beitrag auf einem wichtigen Feld aktueller wirtschaftshistorischer Forschung und gibt einen neuen Einblick in die ländliche Welt des nordwestlichen Deutschlands, die zwar hinter der Dynamik der europäischen Pionierregionen zurückstand, ohne jedoch jenen sozio-ökonomischen Stillstand aufzuweisen, der ihr in der älteren Forschung nachgesagt wurde.