Jg. 56 – 2008 – Heft 2: Mensch und Tier
Editorial
Das vorliegende Heft der ZAA hat einen aktuellen Schwerpunkt. Mit dem Verhältnis des Menschen zum Tier greift es ein Themenfeld auf, mit dem sich die agrarischen Disziplinen zwar schon seit Jahrzehnten beschäftigen; diese legten den Schwerpunkt ihrer Forschungen allerdings primär auf die landwirtschaftliche Züchtung, Haltung und Nutzung von Tieren in historischen wie gegenwärtigen Gesellschaften. Die Frage danach, was der Umgang des Menschen mit dem Tier über die Verfasstheit einer Gesellschaft aussagt, rückte hingegen trotz der zahlreichen philosophisch-ethischen Diskurse, die sich seit der Frühen Neuzeit immer wieder auch um die Differenz des Menschen zum Tier drehten, in den modernen geisteswissenschaftlichen Disziplinen erst vor einigen Jahren ins Zentrum des Interesses. Denn in den großen gesellschaftsund geisteswissenschaftlichen Fächern wie der Soziologie und den Geschichtswissenschaften galt die animalische Seite von Geschichte und Gesellschaft trotz ihrer faktischen Bedeutung lange als ein randständiges, ja banales Themenfeld, mit dem sich, wie es der Soziologe Rainer Wiedenmann einmal treffend formulierte, keine akademischen Karrieren verbinden ließen. Seit einigen Jahren allerdings ist eine Trendwende erkennbar, die auch realhistorischen Entwicklungen geschuldet ist. Denn auf der einen Seite bereichern Heimtiere seit Jahrzehnten das Leben von Millionen von Menschen und sind entsprechend als Protagonisten auch in Fernsehen, Funk und Printmedien äußerst präsent. Die sogenannten Nutztiere hingegen sind schon vor Jahrzehnten weitgehend aus unserer Wahrnehmung verschwunden; sie fungieren als Fleisch- und Rohstoff-Lieferanten, mit denen der moderne Konsument nur noch dann ein lebendes Tier verbindet, wenn das Fleischstück, das er kauft, sichtbare Hinweise auf seine tierische Herkunft enthält.
Diese offensichtliche Ambivalenz im Verhältnis des Menschen zum Tier, die insbesondere die europäisch und/oder amerikanisch geprägte Moderne kennzeichnet, rückt nun verstärkt ins Blickfeld der Forschung. Die Öffnung für die tierische Seite der Kultur verdankt sich in den deutschen Geschichtswissenschaften insbesondere einer Initiative der Frühneuzeithistoriker Paul Münch und Rainer Walz, die schon in den ausgehenden 1990er Jahren eine Sektion zum Mensch-Tier-Verhältnis auf einem Historikertag präsentierten. Der aus dieser Sektion hervorgegangene Sammelband vereint nicht nur äußerst fundierte Beiträge aus der Feder von WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen. Er wurde auch schon ein Jahr nach seinem Erscheinen ein zweites Mal aufgelegt, ein deutlicher Hinweis auf die wachsende Popularität des Themas. Internationale Konferenzen wie „Animals in History – Studying the Not So Human Past“, die das Deutsche Historische Institut in Washington gemeinsam mit der Universität zu Köln im Mai 2005 in Köln ausrichtete, belegen die Konstanz dieses Trends, der erstaunlicherweise (noch) nicht zum „animal turn“ deklariert wurde. Mit dem steigenden Bewusstsein für Naturzerstörung und Umweltschutz rücken sukzessive auch die vielfältigen Aspekte der Mensch-Tier-Beziehungen in den Fokus der Forschung: Denn das Verhältnis des Menschen zur Natur und damit auch die Wahrnehmung von Nähe und Differenz zum Tier sind keineswegs statisch, sondern immer in spezifische historische und kulturelle Kontexte eingebettet und entsprechend historisch variabel.
Das Thema des vorliegenden Heftes also ist groß und kann angesichts der Komplexität der Mensch-Tier-Beziehungen in Geschichte und Gegenwart in diesem Rahmen lediglich schlaglichtartig beleuchtet werden. Entsprechend heterogen sind die Beiträge, denn die ursprünglich geplante, strikt kulturgeschichtlich ausgerichtete Perspektive ließ sich in der Praxis nicht umsetzen. So präsentiert das Heft einen interdisziplinären Zugriff auf das Thema „Mensch und Tier“, der sich unterschiedlicher Fragestellungen und auch diverser Quellengattungen bedient. Am Anfang steht ein Beitrag des Cloppenburger Historikers und Volkskundlers Hermann Kaiser, der sich dem Verhältnis des Menschen zum Tier am Beispiel der Entwicklung von Rinder- und Schweineställen über die Sachkultur annähert und dabei auch Probleme diskutiert, die sich bei der möglichst authentischen Darstellung historischer Verhältnisse in modernen Freilichtmuseen stellen. Denn selbst die ursprünglichen, heute gezielt gezüchteten „historischen“ Nutztiere passen aufgrund der simplen Tatsache, dass sie immer hinreichend gefüttert und deshalb größer werden als ihre Vorgänger, oft nicht mehr in die sachkulturell überlieferten Stallungen.
Die Kasseler Agrarsoziologin Karin Jürgens hingegen fragt am Beispiel der von Tierseuchen betroffenen Bauern nach dem Spannungsfeld zwischen motionaler Bindung, ethischen Wertvorstellungen und einem eher ökonomisch definierten Bezug zum Tier im Kontext der modernen Massentierhaltung. Auf der Basis empirischer Untersuchungen arbeitet sie heraus, dass die Massentötungen von Nutztieren selbst die primär ökonomisch orientierten Landwirte vor massive emotionale wie ethische Probleme stellen, die belegen, dass auch in modernen Massenbetrieben das Tier nicht nur als Ware gesehen wird. Die größten Probleme haben die Landwirte mit der oft als sinnlos und ethisch auch als verwerflich empfundenen „Vernichtung“ von Muttertieren samt Nachwuchs oder mit der Tötung trächtiger Tiere.
Vor dem Hintergrund der Massentötungen von Nutztieren erscheint das Thema des dritten Beitrags auf den ersten Blick vielleicht banal. Barbara Krug-Richter fragt am Beispiel zweier Tierschicksale, die in den letzten Jahren die besondere Aufmerksamkeit der Medien erringen konnten, nach Formen und Funktionen der medialen Konstruktion von Geschichten über „wilde Tiere“. Der Beitrag diskutiert darüber hinaus ein Phänomen, das über die ländliche Gesellschaft hinaus weist und auch als Reflex einer Entwicklung gelesen werden kann, in der die Menschen ihre Entfremdung von der Natur zumindest partiell über medial vermittelte Tierschicksale zu kompensieren suchen.
Der vierte Aufsatzbeitrag des Heftes steht außerhalb des Themenschwerpunktes. Anja Matscher, Manuela Larcher, Stefan Vogel und Oswin Maurer stellen Ergebnisse eines agrarsoziologischen Forschungsprojekts an der Universität Innsbruck vor, das Selbst- und Fremdbilder von Südtiroler Bäuerinnen auf der Basis qualitativer Interviews für vier landwirtschaftlich unterschiedliche Regionen untersuchte. Dieser Beitrag schließt inhaltlich an den thematischen Schwerpunkt des letzten Heftes der ZAA zu den „Frauen in ländlichen Gesellschaften“ an.
Barbara Krug-Richter,
Uwe Meiners
Editorial:
Hermann Kaiser: über Kuhställe und Schweinekofen Formen der Viehhaltung in Nordwestdeutschland S. 11-40
Karin Jürgens: Emotionale Bindung, ethischer Wertbezug oder objektiver Nutzen? Die Mensch-Nutztier-Beziehung im Spiegel landwirtschaftlicher (Alltags-)Praxis S. 41-56
Barbara Krug-Richter: Bruno, der Bär, und Petra, der Schwan. Von Menschen und Tieren im Zeitalter der Medien S. 57-70
Anja Matscher, Manuela Larcher, Stefan Vogel, Oswin Maurer: Zwischen Tradition und Moderne: Das Selbstbild der Südtiroler Bäuerinnen S. 71-84
Abstracts: S. 85-86
FORUM
Kirsten Bernhardt: Ländliche Armenhäuser. Ein Werkstattbericht über die Stiftungen des münsterländischen Adels S. 87-91
Doris Wermelt, Katrin Brüntrup: Mopsmobil – Ein studentisches Ausstellungsprojekt zum Verhältnis „Mensch und Hund“ im LWL-Freilichtmuseum Detmold S. 92-96
REZENSIONEN S. 97- 133
Abstracts
Hermann Kaiser
Stalling cattle inside the “Fachhallenhaus”. Forms and functions of the piggery from the 14th up to the 19th century
How cattle was kept inside and outside the so called „Fachhallenhaus“(a type of house where men and cattle usually lived together under one roof) during different periods, is a question seldom asked. There is a big gap between our information on the structure of medieval farmhouses on the one and shape and number of cattle on the other hand. The variation in growth and weight of cows from Northwestern Germany within the last 500 years is obvious, but has never been discussed in its relation to the stables. A farmhouse in the region of Osnabrück, built in 1480, allows to compare the reconstructed cowbarns with a list of the livestock on this farm dating from 1458. This comparison shows that there must have been other forms of keeping cattle in those days, because the house was not spacious enough to accommodate the mentioned cattle. For long it was common to think that cows and horses lived inside the so called “Fachhallenhaus”. It was also common opinion, that pigs were stalled up outside because of their malodour. In fact special piggeries were widespread, but for various reasons. Medieval relicts of these piggeries have not been found up to now. But we can get information from different sources like book illustrations, sculptures and fine art pictures. They show that there existed a special type of piggery throughout northwest Europe. Variations of the typical piggery show a clap to feed the animals since the late 16th century and mobile barns in the 19th century. At last national attributes were combined with the piggery-type in the political caricature of the early 19th century.
Karin Jürgens
Emotional attachment, ethical value or objective good?
Reflecting the human-animal relationship in agricultural practice and course of life
This contribution explores in a first step the relationship of farmers to their entire livestock and to singular farm animals at a critical live event: the outbreak of diseases. It demonstrates through qualitative data analysis and case-studies how peasants perceive and copy the killing of the entire livestock. It will exemplify, that cases of animal diseases not only have an economical impact, but that the experience leaves farmers traumatized. It documents the human-animal relationship in a situation of trauma, shock and psychosocial problems and elaborates the reasons, why the human-animalrelationship became of great importance for concerned farmers. From the search for understanding what farm animals represent in agricultural day to day practice it discusses in a second step the different sides and rich diversity of living with and keeping
farm animals.
Anja Matscher, Manuela Larcher, Stefan Vogel, Oswin Maurer
Between tradition and modernity: The self-perception of farming women in South Tyrol
During the last century economical, social and political changes have heavily influenced living and working conditions of farming women in South Tyrol, a province in the northern part of Italy. How did these changes, which are still in progress, influence the self-perception of farming women in South Tyrol? How did the self-perception of farming women change during the last decades? These and other questions were investigated in a research project conducted at the Free University of Bozen – Bolzano (Italy) in 2006 and 2007. In the framework of the research project 37 farming women with quite different living and working conditions were interviewed. The interviewees were between 24 and 65 years old and lived in four different regions of South Tyrol. The selection of the interviewees was made according to production background (fruit-growing farm, wine-growing farm or livestock-farm), to the location of the farm (mountain or valley as well as distance to town) and to the extent of employment of the woman on and outside the farm, etc. The results show clearly, that the self-perception of South Tyrolean farming women did change fundamentally in the last decades, whereas this process is still ongoing. Today future farming women put in claims already before they marry a farmer.
As a precondition to move to the farm, in the interviews many farming women require e.g. living quarters that are separated from those of the parents-in-law. 40 years ago such a request was unimaginable. Nevertheless some aspects in the self-perception didn’t change in the course of time, e.g. the bondage of farming women on livestock farms, due to the fact that cows have to be milked and fed twice a day. Another important aspect in the interviews regards the still bad conditions of social security of farming women.
Barbara Krug-Richter
Bruno, the bear, and Petra, the swan. Human-animal relations in the age of mass media.
The article deals with the life of two animals that generated intense media interest in 2006, even before Knut the polar bear in Berlin attracted the attention of the worldwide press. These animal fates exemplify form and function of the media regarding “wild animals”. The basic question is how the animal-man construction in the mass media reveals everyday relations between man and animals. The two popular animal stories show, that even wild animals attract the general public interest when they are individualised and personified. This public discourse of animal lives illustrates a society that can only live with wild animals when they either do not disturb the society or have human features. The broad public interest in wild animal stories further depicts the alienation of man and nature and the attempts to compensate it.