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Jg. 63 – 2015 – Heft 2: Freilichtmuseum und Agrargeschichte

Inhalt

Editors: Barbara Krug-Richter and Uwe Meiners

Inhalt/ Table of Contents:

Editorial
Uwe Meiners and Martina Barbara Krug-Richter

„Ein gutes Gespann“. Landwirtschaftsgeschichte und ihre Vermittlung im Freilichtmuseum
Beatrice Tobler

Moderne Landwirtschaft im Freilichtmuseum, an niedersächsischen Beispielen
Thomas Schürmann

Museumswandel im gesellschaftlichen Kontext – „BARNIM PANORAMA Naturparkzentrum – Agrarmuseum Wandlitz“
Christine Papendieck

„Gartenschätze gesucht“ − Projekte zur Biodiversität im LWL-Freilichtmuseum Detmold
Agnes Sternschulte

Ernährungskette und Verbraucherperspektive. Agrarund Ernährungskultur als Themenschwerpunkt der Domäne Dahlem in Berlin
Peter Lummel and Thomas Steller

 

FORUM

Dörfliche Kriegerdenkmäler im Vergleich
Joachim Hendel

Zwei Forschungsprojekte zur polnischen Agrargeschichte der Periode 1772-1867
Tomasz Kargol and Krysztof Slusarek

Nachruf Prof. Dr. Alois Seidl (1934-2015)
Andreas Dornheim

 

 

Uwe Meiners und Barbara Krug-Richter: Editorial

Freilichtmuseum und Agrargeschichte: Das scheint auf den ersten Blick eine unauflösbare Einheit zu sein. Für Artur Hazelius (1833-1901), den Begründer des schwedischen Freilichtmuseums in Skansen bei Stockholm, gehörte der historische Blick auf das Leben der Menschen in der ländlichen Gesellschaft zum methodischen Prinzip, um überhaupt das museologisch zusammenhängend darstellen zu können, was zum Träger der nationalen (schwedischen) Volkskultur auserkoren worden war. Nicht nur in seiner Vorstellung war es die Kultur der Bauern, welche die Wege zu den Wurzeln der eigenen Bevölkerung wiesen. Eine Sichtweise, die später (in den 1920/1930er Jahren) die Türen mitunter aufmachte für völkische Auslegungen und Interpretationen, für kulturelle Indoktrination und ethnische Ausgrenzung, übrigens nicht nur in Deutschland, wenn man sich die grundlegende Studie von Adriaan de Jong[1] vor Augen führt, mit der er unter dem treffenden Titel „Die Dirigenten der Erinnerung“ den Blick auf die agrarisch verankerte Volkskultur in den Niederlanden und ihre Musealisierung durch das Nederlands Openluchtmuseum Arnhem lenkt.

Im Rahmen des methodischen Zugangs ganzheitlicher Darstellungsformen, die dem Ausstellen des gesammelten Sachguts in Vitrinen eine Absage erteilte und stattdessen inszenatorischen Präsentationen den Vorzug gab, in denen das regional typische Bauernhaus mit seiner Inneneinrichtung und sämtlichen Arbeitsgeräten (oder den „Produktionsinstrumenten“ im Sinne marxistischer Agrargeschichtsschreibung) vorherrschten, spielte die Thematisierung der Landwirtschaft und des „Hausfleißes“ stets eine zentrale Rolle, auch außerhalb der Museen. So blieben Wilhelm Bomanns „Hauswesen und Tagewerk im alten Niedersachsen“ (1928)[2] und seine museale Umsetzung in Celle ein Vorbild bis in die 1980er Jahre[3] ; der Atlas der Deutschen Volkskunde startete Mitte der 1960er Jahre mit den impulsgebenden Erhebungen zur alten bäuerlichen Arbeit in Mitteleuropa[4] eine letzte flächendeckende Umfrage nach dem Gewährsleuteprinzip, und noch 1980 wurde in Oberbayern mit Hilfe der VolkswagenStiftung eine flächendeckende Gesamtdokumentation der „alten bäuerlichen Arbeitsgeräte“ auf den Weg gebracht[5], angedockt an das frisch gegründete Freilichtmuseum auf der Glentleiten bei Murnau. Dabei wurden auch die ersten Sachzeugen der landwirtschaftlichen Industrialisierung in die vertrauten Konzepte integriert: Dreschmaschinen und Lokomobilen fanden Eingang in die Sammlungen der Freilichtmuseen,[6] alsbald auch Traktoren und die ersten Mähdrescher.

Aber es zeigte sich rasch, dass das klassische Sammlungs- und Ausstellungsprinzip der Freilichtmuseen mit der Aufnahme landwirtschaftlicher Großgeräte an seine Grenzen stieß, zumal das traditionelle Bauernhaus mit seinen Nebengebäuden wie Scheunen und Remisen der Mechanisierung der Landwirtschaft mit ihren immer größer werdenden Maschinen kein dauerhaftes Zuhause geben konnte. Der Ausweg, der z.B. im Museumsdorf Cloppenburg und im Freilichtmuseum am Kiekeberg mit der Errichtung großer Ausstellungshallen gewählt wurde, konnte der Präsentation zeitgeschichtlicher Agrartechnik für kurze Zeit eine neue Perspektive verleihen.[7] Er war aber zugleich insofern ein Sonderweg, als er die große Rezeptionspopularität ganzheitlicher Darstellung methodisch hintanstellte und damit die Vermittlung von Landwirtschaftsgeschichte in die Nähe von technikgeschichtlichen Museen rückte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts mussten zudem viele Freilichtmuseen feststellen, dass sich mit dem, was die Museen ausstellten, nur noch bei einem kleinen Teil der Bevölkerung persönliche Erinnerungen einstellten, ja dass der größere Teil der Besucher offenbar aus jenem sozialen Milieu stammt, dessen Freude am Landleben sich mit den liebevoll arrangierten, aber letztlich verklärenden Abbildern aus „Country-Zeitschriften“[8] deckt. Damit wird zugleich deutlich, dass sich die Aneignung von Landwirtschaft und ihrer jüngeren Geschichte mehrheitlich verlagert hat, von der Produzenten- auf die Konsumentenebene, ja dass der Umgang mit Handgeräten wie Spaten, Harken oder Schaufeln vielen der jüngeren Besucher überhaupt nicht mehr geläufig ist, geschweige denn eine Vorstellung davon besteht, wie sich moderne landwirtschaftliche Produktion auf Äckern und in Ställen vollzieht.

Wie gehen Museen, insbesondere Freilichtmuseen, mit dieser Herausforderung um? Spielt in den aktuellen Konzepten die Visualisierung zeitgeschichtlicher landwirtschaftlicher Produktion noch eine signifikante Rolle? Welche Antworten finden die Museen auf die Zunahme der „time lags“, die sich zwischen dem in den „alten“ Bauerngehöften Dargestellten und der Gegenwart auftun – und damit erfolgreiche Vermittlungsversuche auf der Basis eines partizipativen Erinnerungsvermögens der Besucher erschweren?

Wir haben fünf Autoren gebeten, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, und zwar aus der Sicht ihrer Museen, für die sie tätig sind bzw. tätig waren. Im Beitrag von Beatrice Tobler wird das konzeptionelle Bemühen des zentralen Schweizerischen Freilichtmuseums Ballenberg beschrieben, nach dem das „frühere“ Leben der Menschen in den Häusern (wieder) verstärkt in den Fokus gerückt wird und damit das Prinzip der Ganzheitlichkeit, sprich die methodisch-inszenatorische Verzahnung der überlieferte Materialität (Haus, Einrichtung, Geräte) mit den ehemaligen Bewohnern und ihrer Umwelt (Landschaft, Produktionsareale, Gärten) erneut in den Vordergrund tritt.

Der Option der Darstellung und Vermittlung zeitgeschichtlicher Agrartechnik und Produktionsformen geht der Beitrag von Thomas Schürmann nach, der die musealisierte Agrartechnik in den niedersächsischen Freilichtmuseen Cloppenburg und Kiekeberg (bei Harburg) in den Blick nimmt – und deutlich macht, dass die Lebensmittelerzeugung von heute fernab jeder Agrarromantik liegt. Und dass angesichts des derzeitigen Ernährungswettbewerbs um Märkte und Preise die Ziele von Produzenten ebenso in einem „Agrarium“ zur Sprache kommen sollten wie die Bedürfnisse von Konsumenten. Ganz so wie es im Freilichtmuseum am Kiekeberg realisiert worden ist, wobei die Methode der thematisch ausgerichteten Groß-Ausstellung dem Prinzip der freilichtmusealen Ganzheitlichkeit lediglich an die Seite gestellt, nicht aber explizit verzahnt wird bzw. verzahnt werden kann.

Ganz ohne diese „häuserbezogene“ Möglichkeit der Vermittlung operiert das neu konzipierte Agrarmuseum Wandlitz bei Oranienburg, welches (eingebettet in das landschaftsökologisch ausgerichtete „Barnim-Panorama“) seinen eigenen Sammlungen die Hommage erweist und unter anderem die objektbasierte Geschichte der landwirtschaftlichen Traktorisierung in den Mittelpunkt seiner Ausstellung rückt. Auf dieser Grundlage schildert Christine Papendieck die alltagsgeschichtliche Verzahnung der Menschen mit der totalen Mechanisierung der Landwirtschaft, eingebunden in die Chronologie der verschiedenen Stufen sozialistischer Planwirtschaft und kapitalistischer Marktwirtschaft.

Dem museologisch-wissenschaftlichen Dokumentations- und Forschungsansatz verbunden ist der Beitrag von Agnes Sternschulte vom LWL-Freilichtmuseum Detmold. Am Beispiel eines aus Bundesmitteln geförderten Projekts zur Erfassung der Biodiversität von Kultur- und Zierpflanzen in ländlichen Gärten Westfalens schildert sie das Bemühen der größeren Freilichtmuseen, die Forschungsergebnisse nicht nur zu publizieren, sondern in das ganzheitlich angelegte museale Präsentationsprinzip einzubinden und um den Aspekt landschaftsökologischer Zielsetzungen zu erweitern – sofern die Flächengröße des Museums (wie im LWL-Freilichtmuseum Detmold) die Ausdehnung auf kulturlandschaftliche Gestaltungs- und Vermittlungsansätze ermöglicht.

Schließlich führen uns Peter Lummel und Thomas Steller hinein ins „Culinarium“, in die neue Ausstellungseinheit der Berliner Domäne Dahlem, jenem Freilichtmuseum, welches sich aus seiner urbanen Einbindung heraus am konsequentesten den Konsumenten und ihren Bedürfnissen zuwendet. Und das, obwohl die Domäne Dahlem ursprünglich die Aufgabe hatte, einen Beitrag zur Ernährung der Berliner Bevölkerung zu leisten. Landwirtschaftsgeschichte im Museum – das ist eine wichtige Erkenntnis – lässt sich indes nicht mehr allein aus der Sicht der großen und kleinen Produzenten darstellen, wie es in den Freilichtmuseen der Gründerjahre bis in die 1990er Jahre erfolgreich realisiert worden ist. Die objektbezogene Musealisierung der jüngeren Landwirtschaftsgeschichte überschreitet traditionelle freilichtmuseale Konzepte und Perspektiven – ein Zugeständnis an die gesamtgesellschaftliche Entwicklung, in der man im Rahmen einer wissenschaftlich basierten „Freilicht-Museologie“, die sich gleichsam aus mikrohistorischem Blickwinkel eines ganzheitlich angelegten Vermittlungsprinzips bedient, der Konsumentenebene größere Beachtung schenken muss, ohne dabei auf das Abbilden und Erschließen der überwiegend landwirtschaftlich geprägten Lebenswelten vorindustrieller Gesellschaften zu verzichten.

 

[1] Adriaan de Jong, Die Dirigenten der Erinnerung. Musealisierung und Nationalisierung der Volkskultur in den Niederlanden 1815-1940. Aus dem Niederländischen von Oliver Bärenkemper und Sigrid Winkler-Borck, Münster u.a. 2007.

[2] Wilhelm Bomann, Bäuerliches Hauswesen und Tagewerk im alten Niedersachsen, Weimar 1927, dem zahlreiche weitere Auflagen und Ausgaben bis 1978 folgen sollten.

[3] Vgl. etwa Wilhelm Hansen, Hauswesen und Tagewerk im alten Lippe, Münster 1982.

[4] Günter Wiegelmann, Erste Ergebnisse der ADV-Umfragen zur alten bäuerlichen Arbeit, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 33, 1969, S. 208-262. Methodisch verknüpft wird das Gewährsleuteprinzip mit der Sichtung von Museumssammlungen bei Hinrich Siuts, Bäuerliche und handwerkliche Arbeitsgeräte in Westfalen. Die alten Geräte der Landwirtschaft und des Landhandwerks, 1890-1930, Münster 1982.

[5] Jürgen Heinrich Mestemacher, Altes bäuerliches Arbeitsgerät in Oberbayern. Materialien und Erträge eines Forschungsvorhabens, München 1985. Die Dokumentation fußte auf dem von der VolkswagenStiftung geförderten Programm „Erfassen, Erschließen und Erhalten von Kulturgut“. Ein vergleichbares Projekt wurde in Nordwestdeutschland von der Ostfriesischen Landschaft mit Unterstützung durch Hinrich Siuts durchgeführt. Vgl. Hinrich Siuts, Bauern und Landhandwerker in Ostfriesland. Eine Darstellung aufgrund der Erhebungen von Bernhard Klocke 1979-1984, Cloppenburg 2004.

[6] Konrad Bedal (Hg.), Göpel und Dreschmaschine. Zur Mechanisierung der bäuerlichen Arbeit in Franken, Bad Windsheim 1981.

[7] Helmut Ottenjann/Karl-Heinz Ziessow (Hg.), Die Kartoffel. Geschichte und Zukunft einer Kulturpflanze, Cloppenburg 1992. Im Zuge dieser Ausstellung wurde der neueste Kartoffelvollernter eines regionalen Marktführers gezeigt. Die dafür benötigte Fläche belief sich auf ca. 250 qm – ein Viertel vom gesamten Präsentationsareal der gerade neu gebauten Ausstellungshalle des Museumsdorfs Cloppenburg. Vgl. auch Oliver Fok u.a. (Hg.), Vom Klepper zum Schlepper. Zur Entwicklung der Antriebskräfte in der Landwirtschaft, Rosengarten-Ehestorf 1994.

[8] Allein die deutschsprachigen Titel dieser Zeitschriften sind Legion. Sie werden von unterschiedlichen Verlagen herausgegeben und reichen von der „LandLust“ über „Mein schönes Land“ bis hin zur „Schweizer LandLiebe“.

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